Sie sind vermutlich noch nicht im Forum angemeldet - Klicken Sie hier um sich kostenlos anzumelden Impressum 

Sie können sich hier anmelden
Dieses Thema hat 1 Antworten
und wurde 762 mal aufgerufen
 INT
leo Offline

Midlife Löwe

Beiträge: 964

23.02.2010 12:00
Hiebesgrüße an Moskau (Lake Placid ) Zitat · Antworten

Finde den Beitrag so schön, dass ich ihn hier mal komplett reinstelle:


Die Quelle: http://einestages.spiegel.de/static/auth..._an_moskau.html

Sollte ich gegen irgendetwas grade verstoßen, dann bitte schließen bzw. so bearbeiten das es stehen bleiben kann.


Hiebesgrüße an Moskau
Kalter Krieg on Ice: Bei den olympischen Winterspielen 1980 in Lake Placid galt die UdSSR als absoluter Favorit - und wurde ausgerechnet von US-College-Amateuren geschlagen. Mike Eruzione führte sein Team damals als Kapitän zum Sieg. Auf einestages erinnert er sich an die dramatische Begegnung.


Ich kann mich noch gut an den Abend in Lake Placid erinnern. Eigentlich war doch alles so wie immer. Ich saß in unserer Küche, in Winthrop, etwas außerhalb von Boston. Meine Mutter bereitete mir mein Frühstück zu. Es war Dienstag, der 26. Februar 1980. Sie lächelte an diesem Tage etwas mehr als sonst, und sie stellte Fragen über Fragen. Sie wollte einfach alles wissen, alles, was ich in den vergangenen zwei Wochen so erlebt hatte. Wo sollte ich nur anfangen?

Während ich erzählte, ahnte ich nicht, dass all das, was in den vergangenen zwei Wochen passiert war, mein Leben komplett verändern würde. Ich würde bald ungeahnte Möglichkeiten bekommen: in Fernsehshows auftreten, zu Promi-Golfturnieren eingeladen werden, kreuz und quer durchs Land fliegen und Reden halten. Von alldem hätte ich vor 14 Tagen nicht einmal zu träumen gewagt. Da war ich noch ein einfacher Eishockeyspieler. Keiner dieser Profis aus der NHL. Soweit hatte es für mich nie gereicht. Meine gesamte Karriere über galt ich als maximal mittelmäßig begabt. Lediglich am College war ich eine gewisse Größe gewesen, hatte mir Mitte der siebziger Jahre in der Mannschaft der Boston University zumindest im Nordosten der USA einen Namen gemacht.

Doch nun kannte mich ganz Amerika. Am Tag zuvor hatte US-Präsident Jimmy Carter meine Mitspieler und mich noch im Weißen Haus empfangen, Tausende Menschen hatten uns zugejubelt, viele vor Freude geweint. Sie hatten stolz mit US-Fahnen gewedelt, sie sahen alle so glücklich aus. Erst da war mir klargeworden, dass wir eine ganze Nation inspiriert hatten mit unserer Goldmedaille und vor allem mit unserem Sieg gegen die Sowjetunion. Wir hatten die Sowjets besiegt, wir, diese Truppe namenloser College-Boys. Überall redeten sie vom "Miracle on Ice", Jimmy Carter sprach gar von einer der "größten Sensationen in der US-Sportgeschichte".

Wir wussten, dass die Stimmung im Land mies war

Als wir am 12. Februar bei der Eröffnungsfeier der olympischen Winterspiele ins Stadion von Lake Placid einmarschierten, hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, mein Land zu repräsentieren. Alles, was in den nächsten zwei Wochen kommen sollte, sah ich als Bonus. Zwölf Mannschaften spielten beim Olympischen Eishockeyturnier, wir waren an siebter Stelle gesetzt. Aber wir hatten eine gute Vorbereitung, unser Trainer Herb Brooks hatte uns topfit gemacht. Ich war Kapitän und wir alle hielten Bronze für absolut realistisch.

Wie die Leute über uns dachten, was die Presse schrieb, all das bekamen wir nicht mit. Wir lebten im olympischen Dorf in Lake Placid wie in einem Kokon, abgeschirmt von der Außenwelt. Wir wussten allerdings, dass die Stimmung im Land nicht gut war. Vor einigen Monaten hatten iranische Studenten 52 Amerikaner in der US-Botschaft in Teheran als Geiseln genommen, die Benzinpreise waren auf Rekordhoch.

Als wir zum ersten Vorrundenspiel gegen die starken Schweden antraten, ahnten wir nicht, dass viele Amerikaner in den kommenden beiden Wochen ihre Sorgen aufgrund unserer Leistungen für einen Moment vergessen würden. Uns gelang ein 2:2 zum Auftakt und schon der 7:3-Sieg im nächsten Spiel gegen die Tschechoslowakei galt unter Fans und Experten als Überraschung. Ich hingegen wusste nach diesem Spiel, dass wir eine richtig gute Mannschaft waren.

Die Russen waren reif, sie waren fällig

Nach drei weiteren Siegen gegen Norwegen, Rumänien und die Bundesrepublik hatten wir unser erstes Ziel erreicht, die Medaillenrunde der besten Vier. Hier trafen wir am 22. Februar auf die Sowjetunion. Die sowjetische Eishockeymannschaft war der klare Goldfavorit hier in Lake Placid, und wir hatten uns vor Turnierbeginn entsprechend gar nicht mit ihr beschäftigt. Zum einen spielte sie in der anderen Vorrundengruppe, zum anderen sowieso in einer anderen Liga.

13 Tage zuvor hatten wir ein Testspiel im New Yorker Madison Square Garden gegen die Sowjets noch mit 3:10 verloren - keine Überraschung, wenn man bedachte, dass die Russen bei den vergangenen vier Winterspielen Gold gewonnen hatten. Sie galten zwar offiziell als Amateure, trainierten aber unter professionellen Bedingungen. In ihren fünf Spielen vor dem Duell mit uns hatten die Russen 51 Tore geschossen. Wir hatten großen Respekt vor ihnen, sie waren großartige Eishockeyspieler, aber wir wussten auch, was wir konnten. Für uns war es nur ein Spiel. Auf den Rängen und in der öffentlichen Wahrnehmung hingegen ging es auch um Politik. Viele Spieler des sowjetischen Teams waren beim Armeesportclub ZSKA Moskau angestellt und somit Soldaten der Roten Armee. Die stand seit Ende 1979 in Afghanistan, Jimmy Carter hatte deshalb bereits laut über einen Boykott der Sommerspiele nachgedacht, die fünf Monate später in Moskau stattfinden würden.

In der Kabine hielt Herb Brooks eine unglaubliche Rede. Dabei brauchte er uns doch gar nicht mehr zu motivieren. "Ihr seid geboren, um Eishockeyspieler zu sein, das heute ist euer Moment", sagte er immer und immer wieder. Die Russen seien reif, sie seien fällig, betonte Brooks. Und wenn einer sie besiegen könne, dann wir.

"Glauben Sie an Wunder?"

Als wir raus aufs Eis gingen, kam bei mir alles zusammen - Nervosität, Anspannung, Vorfreude. Wir wollten das Spiel so lange wie möglich offenhalten. Das gelang uns. Eine Sekunde vor Ende des ersten Drittels schoss Mark Johnson das 2:2. Als wir zum zweiten Drittel zurückkehrten, war ich überrascht, denn bei den Sowjets stand nicht mehr Wladeslaw Tretjak im Tor, sondern Ersatzmann Mischkin. Dabei war Tretjak damals der beste Torhüter der Welt. Ich ging zu unserem Coach, doch Herb meinte nur, ich solle mich um unser Spiel und nicht um die Russen kümmern.

Im letzten Drittel waren acht Minuten gespielt, und wir lagen nur mit 2:3 zurück. Wir hatten genau das enge, offene Spiel, das wir haben wollten. Mark Johnson gelang sogar der Ausgleich. Die Fans sprangen von ihren Sitzen, die Atmosphäre in der Halle war unglaublich. 80 Sekunden später bekam ich den Puck rund acht Meter vor dem sowjetischen Tor, nur ein Gegenspieler stand mir gegenüber. Er verdeckte dem Torhüter ein wenig die Sicht, so dass Mischkin von meinem Schuss überrascht wurde und ihn nicht mehr parieren konnte. Wir führten 4:3, alle Mitspieler stürmen auf mich zu. "USA, USA", schallte es durch die Halle.

Zehn Minuten noch. Die Russen wirkten verzweifelt, sie schossen den Puck einfach nach vorne, das machten sie sonst nie. Unser Torhüter Jim Craig spielte das Spiel seines Lebens, wurde jedoch von den Verteidigern auch bestens unterstützt. Mit jeder weiteren Minute wurden die Sowjets hektischer und wir immer sicherer. Als die letzten Sekunden vergingen, standen die Zuschauer längst auf ihren Sitzen. Fernsehkommentator Al Michaels schrie ins Mikrofon: "Do you believe in miracles?" - und dann war es geschafft. Das Torschussverhältnis lautete 39:16 für die Russen, das Endergebnis hingegen 4:3 für uns.

Ungläubiges Entsetzen in den Augen des Gegners

Als wir dem Gegner wie nach jedem Spiel an der Mittellinie die Hand gaben, sah ich ungläubiges Entsetzen in den Augen der Sowjets. Sie konnten es einfach nicht fassen, gegen ein Studenten-Team verloren zu haben. Wir hingegen umarmten uns in der Kabine, einige weinten vor Glück. Ich musste sofort ins Fernsehstudio, zum Interview. Draußen auf den Straßen feierten die Menschen, sangen die Nationalhymne und schwenkten US-Fahnen.

Zwei Tage später gewannen wir gegen Finnland mit 4:2 und holten somit völlig unerwartet Gold. Da auf dem Siegerpodest nur Platz für eine Person war, stand ich als Kapitän bei der abschließenden Siegerehrung ganz allein dort. Rechts neben mir bekam der sowjetische Kapitän Boris Michailow die Silbermedaille. Er gratulierte mir kurz, dann schaute ich nach vorne, wo die US-Fahne hochgezogen und die Nationalhymne gespielt wurde. Anschließend gestikulierte ich meinen Mitspielern, dass auch sie aufs Podium kommen sollen, und sie stürmten wie schon beim Siegtor auf mich zu.

In Teheran waren die US-Diplomaten nach unserem "Wunder auf dem Eis" immer noch in iranischer Geiselhaft, die Russen blieben noch neun weitere Jahre in Afghanistan, und Sprit war nach wie vor überdurchschnittlich teuer. Wir konnten mit unserem Sieg keines dieser Probleme lösen. Aber wir hatten ein ganzes Land vereint und inspiriert. Die "Sports Illustrated" wählte uns zur "Mannschaft des Jahrhunderts".


trevor27 Offline

Twen Löwe


Beiträge: 374

08.05.2010 02:58
#2 RE: Hiebesgrüße an Moskau (Lake Placid ) Zitat · Antworten

Danke leo,

komme gerade aus Schalke, wo ein deutlich geringeres Miracle on Ice geschah, diesmal mit den USA als Verlierer. Dieses Miracle on Ice jedoch, wird niemals jemand vergessen. Ich habe deinen Beitrag gerade erst entdeckt und hatte die Bilder der größten Eishockeysensation aller Zeiten (mal abgesehen vom Deutschen Eishockeymeister 2004) wieder vor Augen. Genauso wie 1976, als alle beim Hockey auf der Straße (ja, das gab es wirklich!) Kühnhackl oder Schloder sein wollten, wurde sich 4 Jahre später darum gestritten, wer Mike Eruzione, Mark Johnson oder Jim Craig sein durfte.

Übrigens, Johnson spielte bis 1990 669 NHL Partien, spielte bis 1992 noch in Zell am See. Supergoalie Craig schaffte es bis 1984 nur auf 30 NHL Partien. Dave Silk verzauberte nach 249 NHL Partien Mannheim und Berlin. Eruzione hingegen spielte nie in der NHL, aber seinen Traum hat er ja vorher schon gelebt. Die größten Karrieren neben Mark Johnson machten sicherlich Mike Ramsey (1070 NHL Spiele bis 1997) und Dave Christian (1009 NHL Spiele bis 1994). Die größte Karriere war jedoch Neal Broten (91/92 für 8 Spiele bei den Berliner Preussen - Vertragspoker!) vergönnt, der in 1099 NHL Spielen 923 Punkte erzielte. In weiteren 135 Play Off Spielen erzielte er 98 Punkte, die den Minnesota North Stars zweimal ins Stanley Cup Finale und den New Jersey Devils gar zum Stanley Cup Sieg verhalfen. Neal Broten gewann als einziger Gold Boy von 1980 neben Ken Morrow, der direkt nach Lake Placid ins Team der Islanders stieß, mit denen er sozusagen eine Dynastie von 4 Cupsiegen begründete, auch den Stanley Cup. Apropos Ken Morrow, ihm ist indirekt zu verdanken, dass es überhaupt zu diesen 4 Stanley Cup Siegen gekommen ist. Durch seinen direkten Wechsel von Olympia zu den Islanders wurde dort Dave Lewis entbehrlich. Der wurde getradet und die Islanders sicherten sich Ex-Lions Trainer Butch Goring. Der Rest ist Geschichte. Viele der Gold Boys schafften es nie in die NHL.


 Sprung  


Xobor Xobor Community Software